Aby Moritz Warburg (1866-1929) ist ein grosser deutscher Kunsthistoriker, und weit darüber hinaus einer der letzten grossen Humanisten. Im Jahr 1892 verteidigte er seine Doktorarbeit in Strassburg. Diese digitalisierte Kopie von Numistral ist von Adolf Michaelis gewidmet und gekennzeichnet mit einem Exlibris. Wir entdecken gemeinsam die Ursprünge dieses Dokuments, ein Wegzeichen der Geschichte der Universität Strassburg.
Die Ausbildung eines humanistischen Geistes
Geboren in eine wohlhabende Bankiersfamilie im Jahr 1866 in Hamburg, umleitete Aby Warburg schon früh das Familienerbe, um sich der Kunstgeschichte, insbesondere der Renaissancekunst, zu widmen.
In Bonn folgt er das Unterricht von dem berühmten Kunsthistoriker Carl Justi, und dann vor allem in Florenz, seine Herzensstadt, entwarf Aby Warburg die Idee seiner Doktorarbeit über ein Thema, das gesamte Werk durchqueren wird : der Einfluss der Antike auf die spätere Zeit, genannt als « Nachleben ».
Eine Geschichte der Kunst in vollem Umbruch
Warburg wendet sich daher an Justi, in der Hoffnung seine Dissertation unter der Leitung dieses Professors verteidigen zu können. Aber im Jahr 1832 geboren, der alte Professor ist ein eher konservativer Historiker, Spezialist für Künstlerbiografien und vor allem Autor einer sehr bemerkenswerten dreibändigen Biografie des deutschen Kunsthistorikers und Archäologen Winckelmann (1717-1768). So, wahrscheinlich zu konservativ, um das Projekt von Warburg zu verstehen und zu leiten.
In dieser Zeit erschütteten fest die Künstler das Joch eines linearen und progressiven Verständnisses von der Entwicklung der Kunst. Der Jugendstil stellt den dekorativen Aspekt der Kunst in den Ehren ; der Impressionismus gibt die Regeln des Naturalismus radikal auf ; andere Strömungen, wie der Primitivismus oder der Japanismus, suchen in der Vergangenheit oder in der Phantasie, andere Schlüssel um ihre Kunst zu errichten. Alles dargestellt ist, Kritiker und Fachleute meinen, die Kunst nur in eine Richtung entwickelt und ein Rückschritt ist unannehmbar.
Warburg ist natürlich in dieser klassischen Schule ausgebildet. Aber es beginnt schon aus seiner Reise nach Florenz, die Grenzen zu erfahren, ohne sie wirklich in Frage zu stellen. Vor allem zögert er nicht, Ansätze zu mischen : Stilanalyse, Philologie, Soziologie, Psychologie... alle Bereiche sind aufgerufen, die Werke zu hinterfragen, eine innovative Einstellung.
Die Universität Strassburg, ein Ort der epistemologischen Innovation
Auf der Suche nach einer Universität, wo er seine Dissertation verteidigen kann, schliesst Warburg also Bonn aus, weil Justi lehrt dort. So wendet sich Warburg an einen anderen, geschäftstüchtigsten Professor (der erste sich positiv mit der barocken Architektur auseinandersetzte), der schon durch die Verwendung der Philologie und Soziologie in seinen Studien bemerkt wurde : Hubert Janitschek, seit 1881 Professor an der Universität Strassburg. Sowohl für Janitschek als auch für Warburg ist die Soziologie eine Art Sozialpsychologie, die notwendig ist, um ein Kunstwerk zu verstehen.
In Strassburg findet Warburg nicht nur einen innovativen Meister, sondern auch sehr gute Arbeitsbedingungen. Janitschek begrüsst seinen neuen Schüler in einem neuen Gebäude : « Palais universitaire ». Der ganzen Flügel ist der Kunstgeschichte vorbehalten und an dessen Wänden hängen grosse Werken von Giotto, Crivelli, Paris Bordone oder Simon Marmion, zugeschrieben werden bis « Palais Rohan », das sie beherbergen sollte, nach der Renovation. Im November 1889, Warburg schreibt in Strassburg, dass « die Mittel unvergleichlich zahlreich und gut sind, eine wahre Freude zu arbeiten » [Gombrich 1970, S. 54].
Warburg schreibt sich 1889 an der Universität Strassburg ein und verteidigt dort 1892 seine Dissertation.
Warburgs Doktorarbeit
Diese Dissertation mit dem Titel « La Naissance de Vénus et Le Printemps de Sandro Botticelli » versucht, einen scheinbaren Widerspruch zu lösen : wenn sich die Kunst notwendigerweise zu mehr Naturalismus entwickelt, warum verwendet die wiedergeborene Kunst, und insbesondere die Kunst von Botticelli, so viele « Fioritures » (ein benutztes Begriff von den Kritikern jener Zeit), und mehr als im vorigen Jahrhundert ? Heute datiert, diese Frage wird den Doktoranden zu einer radikalen Änderung der Art und Weise führen : es ist keine wiedergeburtliche Kunst, aber betrachtet als eine antike Kunst.
Vor allem seit Winckelmann, glaubte man, dass die Grösse der antiken Kunst in der Gelassenheit und majestätischen Ruhe der menschlichen Figuren liegt, vor allem in der Bildhauerei. So stellten wir uns natürlich vor, was die Künstler der Renaissance versuchten zu imitieren.
Warburg hingegen zeigte, u.a. anhand von Nachahmungen von Ovid aus der Zeit Botticellis, dass die « Fioritures » keineswegs unbedeutende Details waren, sondern vielmehr repräsentativ für die Art und Weise waren, wie sich die Humanisten und gebildeten Menschen des Quattrocento die Antike vorstellen. Für Warburg ist jedes Detail bedeutsam und wichtig : er habe an der Grundlage der Ikonographie teil. Für einen Kritiker des neunzehnten Jahrhunderts könnte eine Verzierung also ein naturalistisches Detail für einen Maler des fünfzehnten Jahrhunderts sein.
Adolf Michaelis, ein einflussreicher Meister
Warburg stützt sich nicht nur auf Textbeweise. Janitschek war nicht der einzige Lehrer, der Warburg nach Strassburg zog, um diese Unterrichten zu folgen. Er befreundete sich auch mit dem grossen Archäologen Adolf Michaelis (1835-1910), einem Spezialisten für griechisch-römische Skulpturen und Begründer der Abgusssammlung, die heute der Bestand der nach ihm benannten Gipsothek im « Palais Universitaire », auf dem historischen Campus der Universität Strassburg, bildet.
Das digitalisierte Exemplar enthält ein Exlibris von Michaelis, ein Beweis dafür, dass der Professor das von seinem Schüler geschriebene Buch besass.
Ein tragisches, aber fruchtbares Schicksal
Als promoviert an der Universität Strassburg, Warburg unternimmt eine Reihe von Reisen in die Vereinigten Staaten und nach Italien. Bevor er lässt sich in Hamburg nieder und gründet eine Bibliothek, die heute noch existiert. Ihr Sitz in London : das Warburg Institut.
Am Ende des Ersten Weltkrieges, in den Wahnsinn getrieben, überzeugt verantwortlich zu sein, stirbt er 1929 in seiner Heimatstadt.
Das Projekt « Alte Dissertationen » von Numistral
Diese Arbeit ist ein Teil eines Projekts zur Digitalisierung alter Dissertationen, das gemeinsam mit dem Bibliotheksdienst der Universität Strassburg, der Bibliothèque nationale et universitaire de Strasbourg, der Médiathèque Malraux und Médiathèque protestante durchgeführt wird. Dieses durchgeführte Projekt mit den Forschern wird schliesslich eines Korpus von Dissertationen bilden, die zwischen dem 17. Jahrhundert und 1939 in Strassburg verteidigt wurden und die auf Numistral abrufbar sein werden. Die Anzahl der digitalisierten Dokumente wird sich je nach Bedarf und Interesse der Forscher entwickeln.
Die ersten digitalisierten Dokumente können Sie bereits hier, hier und da einsehen, geordnet nach dem jeweiligen Fachgebiet.
Quellen
Châtelet Albert, « Hubert Janitschek (1881-1892) », Formes : Bulletin de l’institut d’histoire de l’art de Strasbourg 7 (1989), p. 19-21.
Gombrich Ernst, Aby Warburg: An Intellectual Biography. With a Memoir on the History of the Library by F. Saxl, Londres, The Warburg Institute, 1970.
Hagelstein Maud, « Mémoire et Denkraum. Réflexions épistémologiques sur la Kulturwissenschaftliche Bibliothek Warburg », Conserveries mémorielles 5 (2008), p. 38-46 (lire en ligne : https://journals.openedition.org/cm/104).
——, « WARBURG, Aby. 1866-1929 », in : Carole Talon-Hugon (éd.), Les Théoriciens de l'art, Paris, Presses universitaires de France (Hors collection), 2017, p. 690-695.
Mehl Édouard, « D’Aby Warburg à Éric Weil : le rêve d’une bibliothèque humaniste au 20e siècle », La Revue de la BNU 12 (2015), p. 60-69 (lire en ligne : https://journals.openedition.org/rbnu/1382).
Document : Aby Warburg, Sandro Botticellis „Geburt der Venus“ und „Frühling“: eine Untersuchung über die Vorstellungen von der Antike in der italienischen Frührenaissance, [Francfort-sur-le-Main], [s.n.], 1893.
Lieu de conservation : Bibliothèque des arts
Cote : T BOTTICE 2
Lucie Le Gouas-Wald
Service des bibliothèques de l’université de Strasbourg